Das OLG Hamm hatte sich mit einer sehr interessanten Frage zu befassen: Wer „beerbt“ den enterbten Schlusserben?
Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 27.11.2012 (I-15 W 134/12)
Der Hintergrund:
Es gab ein gemeinschaftliches Testament mit zwei Besonderheiten. Ein solches kann nur von Ehegatten errichtet werden und die die sogenannten wechselbezüglichen Verfügungen entfalten Bindungswirkung. Ein Ehepartner trifft dabei in der Regel eine Verfügung in bestimmter Weise, wissend das der andere gleich, ähnlich oder in bestimmter Weise testiert. Dies Wechselbezüglichkeit führt dann (wenn keine Änderungsmöglichkeit vereinbart wurde) dazu, daß der längerlebende das Testament nicht mehr nach dem Tod des anderen ändern kann. Wenn sich die Verhältnisse dann jedoch massiv nach dem Tod ändern, kann das zu einem Problem führen.
So war der Sachverhalt auch hier:
Die beteiligte Tochter (T1) und ihre Schwester (T2) waren die erstehelichen Kinder des Ehemanns, der in zweiter Ehe mit der Erblasserin verheiratet war.
Im Jahre 1977 hatten sich die Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu Erben eingesetzt. Zu Schlusserben des zuletzt Versterbenden hatten sie die beiden erstehelichen Töchter des Ehemanns mit jeweils hälftigem Erbteil bestimmt.
Zugleich hatten sie angeordnet, dass die Einsetzung als Schlusserbe entfällt, falls nach dem Tode des Vaters (und Ehemanns) der Pflichtteil gefordert wird. Nachdem die Schwester (T2) nach dem Tode des zuerst verstorbenen Vaters im Jahre 1980 ihren Pflichtteil verlangt hatte, schied sie als Schlusserbin aus. Die im Jahre 2010 verstorbene Erblasserin errichtete im Jahre 2006 einen Erbvertrag, mit dem sie eine vom gemeinschaftlichen Testament abweichende Erbeinsetzung vornahm. Nach ihrem Tode stritten die durch das gemeinschaftliche Testament begünstigte Tochter des Ehemanns (T1) und die durch den Erbvertrag begünstigte Tochter (T3) der Erblasserin um den hälftigen Schlusserbteil der ausgeschiedenen Schwester (T2). Die Tochter des Ehemanns (T1) beantragte einen sie als Alleinerbin ausweisenden Erbschein.
Das OLG gab ihr Recht:
Die als Schlusserbin im gemeinsamen Testament eingesetzte Tochter (T1) des zuerst verstorbenen Vater erhält den hälftigen Erbteil ihrer als Schlusserbin ausgeschiedenen Schwester, wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass beim Wegfall eines von mehreren Schlusserben eine abweichende Erbfolge gewollt sei, die Bindungswirkung also im gemeinsamen Testament nicht eingeschränkt wurde. Mit dem Erbvertrag konnte somit nichts abweichendes geregelt werden.
Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm vom 25. Januar 2013